Die Physik des Messerwerfens

Es ist wichtig zu beachten, dass der Messerwurf instinktiv, ohne viel überlegen abläuft, wie das Laufen oder Rad fahren. Man darf nicht daran denken wollen! Hilfsvorstellungen wie "Loslassen, wenn Spitze aufs Ziel zeigt" sind unabdingbar, um den Bewegungsablauf einzutrainieren, das Gehirn macht dann automatisch Anpassungen, um das Messer doch im richtigen Moment (etwas früher eben) freizugeben. Ein anderes Beispiel hierfür ist das "höher Halten", bei dem man selbst ja auch nicht genau sagen kann, was man nun genau beim Wurf verändert.

Deshalb sind die folgenden Erklärungen nur der Vollständigkeit halber vorhanden, um den Messerwurf physikalisch zu durchleuchten. Michael, vielen Dank für die Zeichnungen und deine Überlegungen zum Thema.

Die Ausführungen auf dieser Seite beziehen sich alle auf den Standard-Messerwurf von oben. Bei anderen Wurfstilen, beispielsweise Messerwerfen ohne Drehung, werden andere Faktoren relevant.


Messer wird von der Klinge geworfen.

Wie verläßt das Messer die Hand?

Lernt ein Anfänger das Messerwerfen, so wird ihm immer erklärt, er solle das Messer in dem Moment loslassen, da die Spitze genau auf das Ziel, den anvisierten Punkt zeigt. Auch einige Bücher geben diesen Rat, der als Hilfsvorstellung gut funktioniert. In Wirklichkeit jedoch wird das Messer früher losgelassen.

Physikalisch geschieht folgendes: Die Hand macht ungefähr eine Kreisbewegung um das Schultergelenk. Die Bewegung im Ellenbogengelenk wird hier vernachlässigt, sie ändert nur etwas den Radius der Bahn.

Wird das Messer losgelassen, fliegt es tangential zur Kreisbahn weiter (siehe den rosa eingezeichnete 90° Winkel der Flugbahn zum Radius, und das Bild; angefasst wird hier jeweils an der Klinge!). Vielleicht erinnert sich noch jemand an den Versuch im Physikunterricht, wo der Lehrer ein Gewicht an einer Schnur über seinem Kopf kreisen ließ und dann losließ.

Lässt man das Messer in dem Moment los, da es zum Ziel zeigt (blaue Linie), würde es also geradewegs auf den Boden geschleudert. Man muss es vielmehr genau dann freigeben, wenn die Tangente an die Kreisbahn genau auf das Ziel zeigt (obere rote Linie), beziehungsweise etwas früher, da diese ideale tangentiale Flugbahn noch etwas durch die Schwerkraft beeinflußt wird, die auf das Messer wirkt (untere rote Linie).

Im Moment des Loslassens steht das Messer also ungefähr senkrecht zum Boden, und dreht sich dann weiter. Der Arm fährt in seiner Abwärtsbewegung fort (follow through, nachhalten).

Wird das Messer losgelassen, fliegt es tangential zur Kreisbahn weiter. In diesem Fall klaffen persönliche Wahrnehmung und Realität wirklich auseinander. Ich wollte aufgrund meiner eigenen Erfahrung erst auch nicht glauben, dass ich das Messer so früh loslasse, aber physikalisch kann es gar nicht anders sein. Es gibt sogar "Beweise": David Adamovich hat bei der Untersuchung der Zeitlupenaufnahmen seines Videos gleichfalls (externer Link / neues Fenster)festgestellt, dass das Messer dann die Hand verläßt, wenn es senkrecht zum Boden steht, und auch Tim Valentine kam nach Videoanalysen zu diesem Ergebnis, weshalb er in seiner (externer Link / neues Fenster)Umdrehungs-Entfernungs-Formel die viertel Drehung berücksichtigt, die das Messer braucht, um genau nach vorn zu zeigen (2 Umdrehungen sind in Wirklichkeit 2¼). Anschließend finden sich schließlich noch Aufnahmen von Werfern kurz nach dem Loslassen des Messers. Sie entstanden beim Werfertreffen 2002 in Müncheberg (vielen Dank an den Pressefotografen Johann Müller aus Döbberin).

Beweisfotos, dass das Messer die Hand verläßt, wenn es senkrecht zum Boden steht:
Messer hat sich nach dem Loslassen schon etwas gedreht. Messer verläßt die Hand, wenn es senkrecht zum Boden steht.
Zwischen Messer und Arm war beim Loslassen ein Winkel kleiner als 90 Grad. Messer verläßt die Hand, wenn es senkrecht zum Boden steht.

Die Drehung des Messers (theoretisch)

Wie oben erwähnt ist das Werfen eine Kreisbewegung um das Schultergelenk. Das Messer ändert dabei seinen Winkel zum Boden, es überstreicht, wie ein Uhrzeiger, in der Zeit der Wurfbewegung einen bestimmten Winkel Δφ. Dieser Wert, Winkel durch Zeit, heisst in der Physik (externer Link / neues Fenster)Winkelgeschwindigkeit ω. Nach dem Loslassen des Messers fliegt dieses auf das Ziel zu und rotiert dabei mit der gleichen Winkelgeschwindikeit, die es bei der Wurfbewegung hatte, weiter um seinen Schwerpunkt. Und nachdem bei der Wurfbewegung am Ende die Messerspitze nach unten geht (so man am Griff anfasst zum Werfen), ist das auch im Flug so: die Messerspitze wird sich absenken, der Griff kommt nach oben. Wenn nun also das Messer so im Ziel ankommt, dass der Griff nach oben zeigt, so hat es sich zu viel gedreht, man muss näher zum Ziel, um dem Messer weniger Zeit zum Drehen zu geben.

Für die Rotation des Messers um seinen Schwerpunkt kommt es also darauf an, wie schnell man bei der Wurfbewegung einen bestimmten Winkel Δφ mit dem Messer überstreicht. Hält man nun den Kreis klein, indem man den Arm nicht ausstreckt, ihn während des Wurfes gebeugt hält, und wirft mit der gewohnten Geschwindigkeit, wird sich das Messer schneller drehen (höheres ω), weil es auf dem kleinen Kreis schneller geht, das Messer über einen bestimmten Winkel zu bewegen. Demzufolge kann man die Rotation verlangsamen durch eine große Kreisbewegung, also mit ausgestrecktem Arm. Hierzu zählt auch das "hineinlehnen" in den Wurf, bei dem die Wurfbewegung nach vorne gestreckt, zu einem länglichen Oval wird. Dieses verhält sich in Bezug auf die Winkelgeschwindigkeit wie ein großer Kreis (→ geringere Rotation).

Die Physik beim Werfen eines Messers.

Interessanterweise hat die Geschwindigkeit mit der man wirft rein rechnerisch keinen Einfluss auf die Strecke, die ein Messer für eine Umdrehung braucht!

Beweis: Die Winkelgeschwindigkeit ω (Winkel durch Zeit t) kann man im Bogenmaß messen, sie hat dann die Einheit 2π / t . Die Strecke s, die das Messer bei einer Umdrehung zurücklegt, ist seine Vorwärtsgeschwindigkeit Vw mal der Zeit für eine Umdrehung:

   s = Vw ∙ (2π / ω)      (Formel 1)

Die Vorwärtsgeschwindigkeit Vw des Messers ist gleich der Umfangsgeschwindigkeit Vu des Messers im Moment des Loslassens. Vu ist die Strecke des Kreisbogens (Radius r gemessen von der Schulter zum Schwerpunkt des Messers) die pro Zeiteinheit durchschritten wird, und da ω schon im Bogenmaß vorliegt, lautet die Formel (der Kreisumfang ist ja gleich r ∙ 2π):

   Vw = Vu = r ∙ ω      (Formel 2)

Setzt man nun Formel 2 in Formel 1 ein, so erhält man:

   s = r ∙ 2π      (Formel 3)

Die Strecke s, die das Messer bei einer Umdrehung zurücklegt, hängt also nur vom Radius der Wurfbewegung ab, und nicht etwa von der Kraft oder Geschwindigkeit, mit der geworfen wird!  ∎

Die letzte Formel liefert auch die Erklärung, warum Äxte (und lange Messer) eine größere Strecke für eine Umdrehung brauchen: ihr Schwerpunkt ist beim Wurf ein gutes Stück vor der Hand, damit ist der Radius r der Kreisbewegung größer.


Die Drehung des Messers (praktisch)

Obige abgeleitete Formel s = r ∙ 2π (Formel 3) ist in der Praxis nicht brauchbar, da niemand diesen Radius r kennt. Die Wurfbewegung ist kein exakter Kreis, sondern eine gekrümmte Kurve und der relevante Radius r ist der Krümmungsradius dieser Kurve im Moment des Loslassens. Das Ergebnis der Überlegungen, dass der Parameter s (zurückgelegter Weg/Umdrehung) bei stets exakt gleicher Wurfbewegung im Wesentlichen nur von der Entfernung (Radius r) vom Drehpunkt (der Schulter) zum Schwerpunkt des Wurfgerät abhängt, bleibt allerdings gültig.

Da natürlich die Armlänge des Werfers konstant bleibt, nur der Radius sich durch verschieden lange Wurfgeräte ändert, kann man empirisch den Parameter s für verschieden lange Wurfgeräte ermitteln. Die Experimente ergaben folgendes Diagramm:

Werte für die Strecke, die ein Messer oder eine Axt während einer Umdrehung zurücklegt.

Dabei ist lg die gesamte Länge eines Messers, ls ist die Lage des Schwerpunkts, und wird vereinfacht auf lg/2 gesetzt, da bei ausbalancierten Wurfmessern der Schwerpunkt in der Mitte des Messers liegt. Bei Äxten liegt der Schwerpunkt fast am Ende des Stils, so dass ls ungefähr lg ist. Für Messer ist daher die Achse lg, für Äxte die Achse ls im Diagramm zu benutzen.

Beispiel: Ein 30cm (lg = 0,3m) langes Messer braucht für eine volle Umdrehung laut Diagramm ca. 2m. Eine Axt mit 30cm (ls = 0,3m) Stillänge braucht für eine volle Umdrehung laut Diagramm ca. 3,5m. Diese Werte gelten für einen normal ausgeführten Wurf mit Hammergriff. Durch verschiedene Griffe und Maßnahmen können diese Werte streuen (gelber Bereich im Diagramm).

Messerwerfer wissen, dass sich Messer langsamer drehen, wenn man beim Wurf mehr von ihnen in der Hand hat, das heißt weiter der Mitte zu anfasst. Dies liegt daran, dass das Messer so nach dem Loslassen eine längere Zeit braucht, um aus der Hand zu gleiten. Währenddessen setzt diese ihren Weg nach unten fort, und übt dabei eine Kraft auf den Griff aus, drückt ihn nach unten. Das verlangsamt die Rotation, bei der der Griff ja eigentlich nach oben geht. Die Technik, das Messer so anzufassen, dass der Daumen auf der Schmalseite des Messer liegt, bewirkt aus dem gleichen Grund eine langsamere Drehung.

Man kann die Rotation beschleunigen, indem man das Messer nicht so hält, dass es eine gerade Verlängerung des horizontal ausgestreckten Unterarmes ist, sondern es etwas nach oben zurück biegt. Nach dem Loslassen kann es jetzt die Hand nicht einfach verlassen, sondern kippt dabei über die vorderen Finger, was ihm zusätzlich Drehung verleiht.


Die Drehung des Messers (Video)

Um sich die Drehung im Flug besser vorstellen zu können, hier ein Video von einem Wurf mit einer vollen Umdrehung.
(Zeitlupenaufnahme mit ¼ Geschwindigkeit, zur Verfügung gestellt von Cleif Ludwig.)


Flugbahn und Geschwindigkeit eines Wurfmessers

Wie schnell ein Messer fliegt, hängt natürlich von der persönlichen Kraft und wesentlich von der Wurftechnik ab. Es gibt verlässliche Messungen, nach welchen beispielsweise Handballer Bälle mit bis zu 120km/h werfen können. Allerdings wurden diese Versuche mit professionellen Spielern durchgeführt.

Experiment im Fernsehen: wie schnell fliegt ein Wurfmesser.

David Adamovich hat ein (externer Link / neues Fenster)Experiment zur Geschwindigkeit von Wurfmessern durchgeführt: Vor einem Hintergrund, auf dem alle 3 Inch eine vertikale Linie angebracht war, wurde ein Messer mit "normaler" Geschwindigkeit 3,4m weit geworfen, und dabei mit 60 Bildern/Sekunde gefilmt (das Video liegt Messerwerfen.de vor). Es errechnet sich eine Geschwindigkeit des Wurfmessers von ungefähr 50 km/h. Zu beachten ist, dass sich das Messer dreht und beim Einschlag ins Ziel noch die Drehgeschwindigkeit zu addieren ist.

Ein sehr ähnliches Experiment hat das Fernsehteam von Galileo/Pro7 anläßlich einer etwas reißerischen Reportage (ausgestrahlt am 8. Oktober, (externer Link / neues Fenster)ansehen) über unser Großes Europäisches Werfertreffen 2007 durchgeführt. Die Messungen konnten sehr exakt erfolgen, da die zwei Test-Werfer mit einer Hochgeschwindigkeitskamera gefilmt wurden, die mehrere Hundert Bilder in der Sekunde aufnehmen kann. Die gemessenen Geschwindigkeiten waren mit 55 km/h und 61 km/h etwas höher als die von Adamovich gemessenen, der schnellere Wert wurde allerdings von einem sehr schnellen Werfer (Gregor Paprocki) erzielt, der seine Bajonette mit vollem Körpereinsatz beschleunigt.

Die meisten Messerwerfer werfen wahrscheinlich auf kurze Distanzen weniger hart, also langsamer, als auf lange Entfernungen. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass man den Rückprall des Messers bei Fehlwürfen fürchtet. Bei weiten Würfen (> 6m) wird kräftiger geworfen. Die höhere Geschwindigkeit hält die Bahnkurve des Messer flacher (man spricht auch vom Pfeilwurf im Gegensatz zum Bogenwurf). Von diesem flachen Bogen verspricht man sich eine größere Zielgenauigkeit, da das Ziel genauer anvisiert werden kann. Aber wie bereits ausgeführt, kann man beim Messerwerfen sowie nicht "anvisieren", da das Messer beim Loslassen nicht auf der Linie Auge-Ziel liegt.

Die Flugbahn des Wurfmessers berechnet.
Bild 1

Je kleiner allerdings die Abwurfgeschwindigkeit, desto höher wird der Bogen der Flugbahn, und damit wird auch der tatsächlich zurückgelegte Weg des Messers länger (siehe Bild 1, grüne Kurve). Wie oben ausgeführt, ist die Strecke die das Messer während einer Umdrehung zurücklegt (tatsächliche Bogenstrecke), unabhängig von der Abwurf-Geschwindigkeit. Theoretisch müßte sich daher mit der Wurfkraft das Über- oder Unterdrehen des Messers beim Zieleinschlag steuern lassen (höhere Abwurfgeschwindigkeit bedeutet Verkürzung der im Flug zurückgelegten Strecke).

Dies wäre allerdings praktisch nur dann der Fall, wenn die tatsächliche Flugstrecke (Bild 1, grüne Kurve) bedeutend von der Entfernung zum Ziel (Bild 1, Strecke w) abweicht. Ob dies wirklich der Fall ist, kann mit Hilfe der Bahngleichung des schrägen Wurfes (siehe Bild 1, Formel für y(x)) untersucht werden. Eine grafische Aufbereitung siehe Bild 2:

Die Flugbahn des Messers bei verschiedenen Abwurfwinkeln.
Bild 2

Es wurden 4 verschiedene Abwurfgeschwindigkeiten Vu im Bereich von 35 bis 100km/h untersucht, und mit der Bahngleichungsformel (siehe Bild 1) die zugehörigen Abwurfwinkel α ermittelt. Ein Sonderfall ist der Winkel von 45 Grad, mit ihm kann man rechnerisch die weitesten Würfe erzielen, hier kommt bei einer Abwurfgeschwindigkeit von 35km/h (der sogenannten Grenzgeschwindigkeit) das Messer gerade noch im Ziel an. Als Wurfentfernung w wurde 10m gewählt, der Zielpunkt liegt auf Höhe des Loslasspunktes (gesucht also y = 0). Damit ergeben sich für die untersuchten Abwurfgeschwindigkeiten folgende Abwurfwinkel und tatsächlichen Bogenlängen:

 Bahngeschwindigkeit 
[km/h]
 Abwurfwinkel 
[Grad]
 Länge der Bahnkurve 
[m]
35,66 45,00 11,47
50,43 15,00 10,12
75,18 6,50 10,02
99,09 3,72 10,01

Wie man sieht, sind die Unterschiede zwischen der Entfernung zum Ziel (w = 10m) und der tatsächlichen Bogenlänge im Bereich 50km/h bis 100km/h gering, und damit praktisch bedeutungslos. Lediglich sehr kraftlose Würfe (35km/h) haben einen etwas größeren Einfluss.

Folgerung: Man kann und sollte auch bei sehr weiten Entfernungen durchaus noch entspannt werfen.

Das Zusammenspiel der ganzen Physik sieht man in dieser schönen Aufnahme des Flugs einer Axt, geworfen aus etwas über 12m Entfernung.

Klicken für ein größeres Bild. Gut zu beobachten sind der Augenblick des Loslassens, Flugbogen und Drehung der Axt. Wenn man die horizontale Entfernung zwischen zwei aufrechten Äxten misst, wird man feststellen, dass sie konstant ist.
(Vielen Dank an Frank für die Photomontage, aufgenommen auf der Weltmeisterschaft in Maniago.)
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Englisch: Physics of knife throwing